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Kürzlich wurde ich bei einem Interview gefragt, warum ich so gerne weitwandere. Einerseits ist es für mich eine Qualitätszeit, die ich gerne mit lieben Menschen verbringe - ein Erlebnis, das verbindet, eine Zeit, in der tiefe Gespräche entstehen. Als zweiten Aspekt ist es für mich die intensivste und ehrlichste Art, eine Region, ihre Besonderheiten und Menschen kennenzulernen. Und ein ganz kleiner Teil liegt für mich in der körperlichen Herausforderung, den Körper zu spüren und diesen und den Geist zu stärken. Der heutige Tag gehört zu 90% in die letztere Kategorie.
Ob es daran liegt, dass wir ein bisschen in den Erholungsmodus gefallen sind? Nach einer verlängerten Etappe 4 waren wir gestern in nur 3 Stunden bei der Etappe 5 am Ziel und konnten den Nachmittag im neu ausgebauten Wellnessbereich und kürzlich erst fertig gestellten Garten mit Outdoorswimmingpool des Hotel Prägant in Bad Kleinkirchheim verbringen. Am Abend sind wir fast drei Stunden beim mehrgängigen Abendessen beisammen gesessen und haben die Kulinarik und unsere Freundschaft genossen. Und heute früh haben wir uns mit einem köstlichen Porridge gestärkt. Also sollten wir eigentlich gut regeneriert sein.
Aber, es ist auch der 6. Tag in Folge, den wir gehen – knapp 100 Kilometer wird die Zusammenfassung meiner Freundin nach dem Ankommen am Abend anzeigen. Ich merke, dass mein Körper „verbrennt“ – schon nach Mittag fühle ich mich, als hätte ich tagelang nichts gegessen. Aber zurück zum Start, den wir heute gemütlich auf 9:10 Uhr legen, also die Koffer zur Abholung bereit stellen und mit der Inhaberfamilie noch kurz plaudern und uns verabschieden.
Ab dann wird es für einen langen Teil des Tages für mich „unrund“: zuerst finden wir den Einstieg in den Nockberge-Trail nicht – dieser scheint zwar mit Wanderweg bezeichnet, führt uns aber zu hoch hinaus. Wir finden uns wie Hänsel und Gretel vor einem verfallenen Häuschen inmitten eines Brennesselsumpfes wieder. Bis wir zurück auf der Hauptstraße sind, sind Schuhe und Socken feucht und wir schon mehr als eine halbe Stunde unterwegs. Und auch danach stehen wir erneut vor einer Sackgasse bzw. einem Gebäude mitten in unserer GPS-Route.
Erst eine Stunde nach Verlassen des Hotels sind wir 100% on track, am Wasserweg St. Oswald. Hier geht es wunderschön im Wald bergauf – leider ein kurzes Vergnügen, bevor wir zurück auf Asphalt wechseln. Eine Höhenstraße führt vorbei an schönen Holz(ferien?)häusern. Obwohl wir an Metern gewinnen, sind wir deutlich zu tief, und daher spüren wir heute erstmals die große Hitze, der wir die letzten Tage auf 2.000 Höhenmetern entkommen sind. Zum Glück sind wir in Kürze wieder oben, denke ich, allerdings besteht die erste Tageshälfte aus einem durchgehenden und nicht enden wollenden 1.000 Meter Aufstieg. Jede Kuppe einen neue Chance, und neue Aufschwünge. Ich triefe aus jeder Pore meines Körpers, da der Weg nicht nur extrem verwachsen sondern vor allem steil ist. Oberkörper vor, Doppelstockeinsatz und ein Schritt nach dem anderen… wir kommen in ein gleichförmiges Gehen und gewinnen mit Konsequenz an Höhe – aber ich merke, wie meine Kräfte und auch meine Motivation heute kämpfen.
Die Belohnung wartet am höchsten Punkt auf 1.959m – ein herrliches Gipfelplateau namens Piedröß, von dem wir sogar bis zum Millstättersee blicken können. Dass dieser in zwei Tagen unsere Ziel sein wird – das scheint heute noch in weiter Ferne. Wir gönnen uns eine Pause und essen eine Kleinigkeit. Danach folgt ein kurzer Abstieg zum Schwungholen für den 2. Gipfel – das Wiesennock auf 1.974m. Dazwischen passieren wir zahlreiche Kühe, Pferde, aber auch Schneekanonen und Liftstützen. Wir können erahnen, wie belebt hier der Wintertourismus im Vergleich zu unserer menschenleeren Sommer-Wanderung ist – eine Schautafel mit den Skipisten bestätigt diese Vermutung. Eine davon geht's für uns 90° vom 2. Gipfel hinab und führt in einer Schlaufe ein klein wenig Richtung See.
Eigentlich ist der letzte Wanderabschnitt wunderschön – ein fast ebener Höhenweg durch den Wald: schön schattig und großteils gut markiert. Aber ich bin müde wie die Maskotten des Skigebietes in ihrem Sommerschlaf und motiviere mich durch die Vorfreude auf eine Hüttennacht.
Diese Abwechslung ist es, die ich am Nockberge-Trail liebe – mal etwas Luxus, mal Purismus. Mal kleine feine Gänge, mal ein großer Teller mit einem regionalen hausgemachten Schmankerl.
Punkt 15:13 Uhr erreichen wir nach sechs Stunden Unterwegszeit - wieder fast eine Stunde schneller als der Plan - das Erlacher Haus, und ich lasse mich glücklich auf eine der Bänke nieder. Während meine Freundin ein kühles alkoholfreies Bier genießt, versuche ich mit einer großen Tasse Kaffee und zwei Stück Reindling meine Lebensgeister wieder zu aktivieren. Als das nichts hilft, folgt noch eine sensationelle gelbe Suppe (auch eine lokale Spezialität). Und weil alle guten Dinge drei sind, schlafe ich das erste Mal seit Aufbruch am Nachmittag – fast 2h - und falle danach direkt ins Abendessen. Und das übertrifft alle Erwartungen: Schwammerlgulasch mit Knödel für mich und ein Wildgulasch mit Kartoffeln für Anne. Und als wir mit „Seid ihr mutig“ mit „Ja“ antworten, steht kurz drauf ein „Schlangengift“ in Form eines Verdauungsschnapses (aus Enzian, Blutwurz und anderen Kräutern) vor uns.
Tourendetails Etappe 6: 13,1km, 1.150hm Aufstieg, 520hm Abstieg, ca. 5,5h
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