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Tell-Trail Etappe 4: Miss Pilates auf dem Pilatus

Claudia Schallauer
01.08.2024

Tag 5/10: Tell-Trail Etappe 4 - von Luzern nach Stans


Meine Wanderbegleitung entscheidet heute früh abzureisen, da es ihr gesundheitlich nicht gut geht. Der Regen beschließt, auch früher abzureissen – allerdings später, als ich fertig wäre. Aber, ich habe gestern Abend entdeckt, dass knapp 100 Meter vom Hotel entfernt ein Transa-Laden seine Filiale hat – was für eine grandiose, habe ich zu diesem Zeitpunkt nicht mal erahnt.

Punkt 9:03 Uhr stehe ich beim Eingang bzw. zuvor bei der verschlossenen Hintertür. Punkt 9:05 Uhr befinde ich mich im 2. Stock – Wanderschuhe muss man sich wohl verdienen. Ich plane, etwas zu tun, wovon stark abgeraten wird… ich kaufe neue Wanderschuhe – mit denen ich heute die erste wirklich lange Etappe gehen werde. Warum das? Weil mein hohes Paar eine halbe Nummer zu klein ausgefallen ist. Und jene zwei Modelle, die ich zuhause probiert habe, beim Testen unerwartet Druckstellen verursacht haben. Und, weil ich mich schlussendlich gegen das Schwergewicht „steigeisenfest“ entschieden habe. Die ersten drei Tage bin ich mit meinen flachen Schuhen gewandert, da ich sehr trittsicher bin. Diese haben eine harte Sohle mit gutem Profil und geben super Halt. Da ab übermorgen laut Prognosen allerdings Schneefelder warten, benötige ich auch ein hohes Modell… und werde fündig. Bei der besten Beratung meines Wanderinnenlebens finde ich das perfekte Paar Schuhe, für schmale Fersen und hohe Ziele. Mein kaum getragenes altes Paar kann ich sogar spenden und Karmapunkte sammeln! Zu meiner Freude gibt es auch noch den professionellsten Tipps zum Schuhe imprägnieren, als ich anspreche, dass ich in meinem Leben noch nie wirklich trockene Füße hatte bei Regen.

 

Mehr als überglücklich sitze ich um 9:50 Uhr im Bus nach Kriens, marschiere ein paar Serpentinen und warte zum dritten Mal an diesem Tag: zuerst den Regen ab, dann 14 Minuten auf den knapp verpassten Bus – und nun in der Warteschlange beim Ticketschalter des Pilatus. Die zwei Damen vor mir sind Guides mit einer über 40köpfigen Gruppe und wollen Tickets kaufen bzw. vorreservierte Zeiten tauschen. Und bezahlen dann mit 2.800,- CHF in bar – was mehrmals kontrolliert werden will. Als ich drankomme ist die Schlange hinter mir gigantisch – und das trotz der Webcam, die grau in grau zeigt.

 

Auch wenn es regenfrei ist, weiß ich, dass heute kein guter Tag für meinen Pilatus-Traum ist, aber ich vertraue. Ich habe die Karte studiert - und im Gespräch mit der Ticketdame – und später mit zwei Einheimischen, mit denen ich in der Gondel lande, entsteht folgender Plan: das erste asphaltreiche Stück lasse ich aus, ebenso das 3. zum Gipfel, bei dem vor zwei Wochen jemand abgestürzt ist. D.h. ich entscheide mich für die etwa 400 Höhenmeter zwischen Krienseregg und Fräkmüntegg zum Einwandern.

 

Unheimlich ist es, als ich im mystischen Nebel alleine das Drachenmoor betrete, aber die Herren hatten recht, dass ich schon bald das Nebelband durchbrechen sollte. Was ich finde: drückende Hitze, die mir bis zur zweiten, sehr modernen Luftseilbahn auf den Pilatus-Kulm ein komplettes T-Shirt durchnässt. Oben beschließe ich, trotz nicht vorhandener Sicht auf „den Esel“ zu steigen, um den zweithöchsten Punkt des Massivs mit 2119 Metern mitzunehmen und einen Marienkäfer-Wanderstein zu hinterlassen.

 

Dann geht’s runter mit der steilsten Zahnradbahn der Welt, die sage und schreibe schon 135 Jahre in Betrieb ist! Mit bis zu 38° Neigung geht es in sage und schreibe dreißig Minuten auf die andere Talseite, nach Alpnachstad. Meine Abteilnachbarn scheinen dem gestrigen Film entsprungen – ein Thailänder und eine Chinesin, die an der Klimaveränderung forschen und in Holland leben. Wie spannend!

 

Als ich unten ankomme, träume ich davon, am Alpnachsee nach Stans auszumarschieren. Es wird ein langer Traum. Im Vergleich zu den Höhenmetern auf den Pilatus wirkt die letzte Etappe am Track flach, hat es mit zahlreichen Auf und Ab aber kräftemäßig noch ziemlich in sich. Großteils sind es herrliche Wege – durch renaturalisierte Ufer, urwaldartigen Wald und eine unerwartete, tosende Schlucht. Danach geht es mehr oder weniger auf Wiesen einen Stadthügel rauf und runter – meine Motivation bleibt unten – dass ich mich zweimal vergehe bzw. der Weg in Privatgrund endet, bessert meine Stimmung nicht gerade.

 

Schließlich erreiche ich um knapp vor 17:30 Uhr den Himmel in Form des Hotel Engels und hänge zwei durchnässte T-Shirts, zwei ebensolche Midlayer-Schichten, ein triefendes Haarband, stinkende Socken und gut eingewandert-feuchte Schuhe zum offenen Fenster. Die folgende Dusche ist eine der genussvollsten der letzten Wochen, gekrönt von einem zimmereigenen Kaffeemaschinen-Genuss.

 

Es folgt das beste Abendessen des bisherigen Trail, zum 1. Mal zum Wählen mit zweiteiliger Vorspeise, Salat und wahlweise Suppe oder Kokos-Ananas-Smoothie. Die Krönung ist ein herrlich kross-saftiges Stück Lachs mit zehn verschiedenen Gemüsesorten. Das alles begleitet von goldenem Wein.

Und dann folgt die goldene Stunde. Mir kommt eine sppontane Idee Beim Marsch zum Hotel ging ich an der Talstation der Stanser Bahn vorbei. Werbung wirkt – ein Schild „heute Abendfahrten“ blieb in meinem Gedächtnis haften. Nach diesem wettermäßig sehr einfärbigen Tag scheint die Wetterprogrnose recht zu behalten und pünktlich zum Sonnenuntergang durchbricht erstere die Wolkenmauer und um feudal hinter der eindrucksvollen Silhouette des Pilatus-Massivs unterzugehen. Ich habe Tränen in den Augen und auf Wangen, als ich alleine am höchsten Punkt stehe und dieses Naturschauspiel beobachte. Wie gerne würde ich diesen Moment teilen… Tiefe Dankbarkeit erfüllt mich, hier sein zu dürfen, zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

 

Tag 5/10: Tell-Trail Etappe 4 - von Luzern nach Stans

Etappeninfos:

  • Start/Ziel: Luzern/Stans
  • Strecke: 10 km, bis zu 1.650 hm bergauf (wenn man komplett von unten auf den Pilatus wandert), 120 hm bergab
  • benutzt: Bus nach Kriens
  • Gondel nach Fräkmünt (oder Zwischenstopp in Krienseregg (Reservierung am Wochenende empfehlenswert)
  • weiter optional mit Luftseilbahn zum Pilatus Kulm (empfohlen, wenn es zuvor stark geregnet hat, sehr steiles Wanderstück ab hier)
  • Abfahrt mit der Zahnradbahn nach Alpnachstad (Reservierung am Wochenende empfehlenswert!)
  • Samstag Abend für die Cabrio-Bahn in Stans bis 23:00 Uhr - toll für Sonnenuntergang am Stanserhorn (Blick auf Pilatus)
  • Highlights: optionale Abenfahrt auf das Stanserhorn und Sonnenuntergang hinter dem Pilatus (nur Samstags und im Sommer)
    historische Zahnradbahn Pilatus Kulm nach Alpnachstad
Kategorien Natur Bewegung Auszeit